Bildbeschreibung: „Das Gewicht“, Januar 1978

Das Gewicht“, Januar 1978

Beitrag zu den Katalogen „R. Hanke“, 1979 und „R. Hanke – mehrschichtig., 1980

moderne Kunst unorthodox Handzeichnung Reales Maschinerie Schienenstrang Stahl Projektil Sprengkraft Gefahr Irritation Illusion Tiefenraum figurativ realistisch irreal schwarzweiß mehrschichtig kombiniert Zuordnung montieren Relation Metapher Symbol mehrdeutig assoziativ Reflexion Gesellschaftskritik Realität Realismus

Der Zyklus „Das Gewicht“ ist die erste Arbeit, in der für mich das Problem der Reihung auftauchte. Es ergab sich zufällig. Ich wollte die Veränderung der Aussage eines Gegenstandes (des „Gewichtes“) bei der Veränderung der Bildzusammenhänge und bei Reduzierung untersuchen. Und da es der gleiche Gegenstand war, erbat sich die Reihe wie von selbst. Ich will im folgenden nur die erste und letzte Arbeit besprechen, weil ich sie für die prägnantesten halte und sie – noch – losgelöst aus ihrem Zusammenhang in der Reihenfolge der Entstehung als Einzelarbeit wirken. Durch die Zusammensicht aller Arbeiten ergibt sich noch keine Bedeutungsveränderung oder Bedeutungsvertiefung. Erst in der folgenden Arbeit wird das Gesamte mehr als die Summe der Einzelarbeiten. Die Zeichnung „Das Gewicht I“ besteht aus zwei für sich inhaltlich und räumlich klar definierten Schichten: 1. der Weiche mit dem Hügelfragment an jeder Seite, die auf den ersten Blick in zwei Strängen in unendliche Fernen führen könnte, auf den zweiten jedoch vor einem leeren Hintergrund ausläuft, unter sich Leere und sich dadurch selbst in Frage stellend, sowie 2. den an zwei Balken befestigten Umlenkrollen, von deren vorderer, von rechts in das Bild hineingeführt, ein Gewicht in der Form eines Projektils hängt. Versuchen wir für beide Bildteile zuerst getrennt die Bedeutungen abzuleiten: Der obere Bildteil wirkt real in seiner Stofflichkeit. Durch Randüberschneidungen könnte er als Teil eines größeren Ganzen, als Endpunkt einer sehr einfachen, schwerfälligen Maschinerie angesehen werden. In betont senkrecht-waagerechter Anordnung ist sie Barriere, betont überdimensioniert, bedrohlich vor weiß schwebend, den ganzen oberen Bildteil einnehmend. Daran hängt das Gewicht, oberen und unteren Bildteil miteinander verbindend. Beides zusammen besetzt etwa dreiviertel des gesamten Bildraumes; durch seine Form strahlt das Gewicht aus bis zum unteren Bildrand. Ob das Gewicht nun funktioneller Teil der Maschine ist oder nicht, von ihr gehalten wird oder ob seine Energie genutzt wird, bleibt unklar. Ebenso die Art und der Zweck der „Maschine“. Es ist nur bestimmter Teil einer unbestimmten und unbestimmbaren Maschinerie. Nur eins ist klar: zum Betrachter hin hängt ein Projektil, und das ist bereit zu fallen. Und es scheint auch schwer genug zu sein, zerstören zu können. Auf dem unteren Bildteil ein Schienenstrang. Durch die doppelte Führung und die Weichenüberschneidung wird der Betrachter in eine imaginäre Tiefe gezogen. Beide Stränge scheinen sich weit hinten zu verlieren. Der Betrachter muß durch die sehr stark sich verkürzende Perspektive und die klare Linienführung folgen. Und dann entpuppt sich der zwingende Weg in die Ferne als Schein. Er läßt den Betrachter in der Luft hängen. Auch in der Zuordnung des oberen zum unteren Bildteil wird das klar definierte Zweifelhafte wieder aufgenommen. Größe und Zuordnung der Teile bleiben unklar, obwohl klare Überschneidungen auftreten. Durch ein herabhängendes Blatt Papier, das von der Weiche überschnitten wird, müßte sich der ganze obere Bildteil hinter der Weiche befinden – doch dann wäre dieser Bildteil überdimensioniert groß – ein Stolperstein für die Erfahrung, das Bewußtsein des Betrachters. Ebenso weist das Gewicht auf den Scheitelpunkt der Weiche, überschneidet jedoch nicht; es könnte sich demnach auch, wenn auch zweifelhaft, hierüber befinden – doch dann wäre die Distanz zum Papier unwahrscheinlich. Ebenso könnte das Projektil immer Vordergrund hängen – doch dann wird die Weiche in ihrer Tiefenerstreckung unglaubhaft. Sehen wir beide Bildteile zusammen, so ergeben sich neue Bedeutungen. Der Holzbalken wird zur Schranke – allerdings in seiner Räumlichkeit nicht erfaßbar. Das Gewicht bekommt eine klare Stoßrichtung, einen Zweck, der jenseits eines Maschinenteildaseins liegt. Es wird zur Bedrohung. Es bleibt unklar, wo diese Bedrohung ansetzt oder was genau diese Bedrohung ist. Sie ist aber trotzdem präsent. Und der Betrachter wird darauf hingezogen. Er wir eingespannt. Ein „Gewicht VI“ ragt eine riesige Umlenkrolle von oben in den Bildraum, flankiert von zwei Platten. Wie die Rolle, so scheinen auch sie durch die Lichtführung im unteren Teil rund. Durch die messerscharf geraden Kanten und die Frontalsicht aller Teile ist ihre räumliche Erstreckung jedoch undefiniert. Eine durchgeschobene Schraube mit Mutter hält als Achse die drei Teile zusammen. Zwischen den Platten und der Rolle je eine Unterlegscheibe, funktionslos. Sie unterstützen nur, indem sie sich noch unten verbreitern, das Gewicht der Rolle. Sie hängt in geometrischer Strenge schwer, unnahbar, fest, erstarrt. Die Gegenstände sind eindeutig mit einer falschen Lichtführung; die Schatten verunklären den Raum, lassen ihn teilweise als Fläche erscheinen. Vom Material eindeutig Stahl, jedoch ohne Raum, ist die Rolle vom Menschen Geschaffenes, sich jedoch einer Einordnung in Schemata entziehend. In der Rolle hängt an einem Faden wieder das Gewicht. Der Faden ist im Verhältnis schwächlich, die Halterung unmerklich ausfransend. Allein das Gewicht kann sich behaupten. Wie schon in der ersten Arbeit, wird auch hier das Gewicht zur Bedrohung. Wie schon vorher ist ihr Ansatzpunkt auch hier durch räumliche Verunsicherung verunklärt. Allein durch ihre Form bekommt das Gewicht seine Stoßrichtung. Es zielt auf einen auf ein Blatt Papier gezeichneten Nagel, von dem nach Form und Größe zu urteilen gerade der Faden nach vorn, rechts an dem Betrachter vorbei zum Bildrand führt, der das Gewicht wieder von oben kommend hält. Das Papier beginnt zu schweben, vom Faden gezogen. Es bewegt sich durch die stark verkürzte Perspektive auf den Betrachter zu, zieht ihn durch den Faden unterstützt ins Bild. Jedoch schon dieser „Einstieg“ ist widersprüchlich. Einesteils sind Faden und Papier die einzigen Gegenstände, die von Material, Licht und Perspektive richtig definiert sind. Doch durch die Verdichtung der Grauwerte um den Faden zu „Schatten“ wird der Bildraum hier gezwungen, Bildgrund zu werden. Dieser Raum-Grund vermag es, durch Verdichtungen der Grauwerte einesteils die Wirklichkeit der anderen Gegenstände zu steigern, gleichzeitig durch die schemenhaften Schatten das Wirklich-Unwirkliche noch einmal aufzunehmen. Alle im ersten Blatt schon angelegten Inhalte finden sich auch in dieser Arbeit wieder. Nur sind die erzählerisch-symbolischen Elemente herausgefiltert, der Gehalt wird weitgehend durch Farbe und Form sowie durch die Komposition transportiert. Die Maschine hat sich auf eine Rolle verdichtet – sie wirkt durch den Zwiespalt von Licht, Material und Raum. Die räumliche Indifferenz ist reduziert auf eine Verdichtung der Schwärzen an einigen Stellen – von der Erinnerung Schatten auf einem Grund, jedoch unsinnige Schatten auf einem unbestimmbaren, trotzdem materialisierten Etwas. Die Maschine wird durch sich selbst nur noch gehalten, und das ist auch schon wieder Anderes, Unwirkliches, Bedrohtes. Der Inhalt des ersten Blattes ist zum sich selbst zerstörenden menschlichen Produkt geworden, in seiner strengen Logik einsamer, härter, gleichzeitig irrationaler, auf eine notwendiges Minimum reduziert. Inhaltlich hat sich hier ein für mich wesentlicher Aspekt zum ersten Mal herausgeschält: das auf den ersten Blick Faßbare – da es klar definiert ist – dann sich jedoch einer genauen Zuordnung Entziehende, das Logisch-Unlogische, schnell einzuordnen, fast mathematisch korrekt, vielleicht simpel, und doch bei genauerem Hinsehen recht kompliziert, mit falschen Bezügen und einem Aufbau entgegen den Gesetzen der Erfahrbarkeit. Und auch ein formales Prinzip wird hier zum erstenmal deutlich – die Überschaubarkeit wird im Detail so sehr relativiert, daß sie uneinsehbar, vieldeutig wird.

r. hanke, 1979