„Bitte!“, 1977
Beitrag zu den Katalogen „R. Hanke“, 1979 und „R.Hanke – mehrschichtig“, 1980
Als Mittelpunkt der Darstellung präsentiert sich dem Betrachter eine Darstellung – ein Bild im Bilde. Vor einer Backsteinmauer, auf deren Rand Stacheldraht eingelassen ist, steht im Hochformat ein Blatt Papier. Dieses Blatt ist Bildträger einer Darstellung, die einen grinsenden Mann zeigt, der sich mit dem Oberkörper über eine Holzwand beugt und dem Betrachter eine Maske entgegenhält. Überraschenderweise gleicht die Maske den Gesichtszügen des Mannes.
Zwei der vier Ecken des Blattes wölben sich stark nach innen und betonen die Zweidimensionalität des Bildträgers. Von der Grundfläche der inneren Darstellung geht keinerlei Wirkung räumlicher Tiefe aus. Die Verdichtung der Schraffur qualifiziert sie vielmehr als ein Stück Papier, das von einigen Falten durchzogen wird. Das Materielle der Grundfläche wird auch dadurch herausgestellt, daß sich auf ihr der Schatten des Mannes abzeichnet. So ist der Mann eingeklemmt zwischen der materialisierten Grundfläche hinter ihm und der Holzwand vor ihm.
Es fällt auf, daß sich die Gestaltung der rechten Hand über die Umrißlinie der inneren Bildfläche hinaus fortsetzt. Der Vorstoß des Mannes in den Bildraum der äußeren Darstellung ist eine Bewegung in Richtung auf den Betrachter, der die Maske demonstrativ präsentiert bekommt. Allerdings wird die raumgreifende Diagonale des Armes und der Knöchel durch den senkrechten Verlauf des kleinen Fingers aufgefangen und in die Fläche gezwungen.
Wie schon der innere Bildraum wirkt auf der äußere verstellt. Da ist zunächst die Backsteinmauer mit dem Stacheldraht; was die Stabilität betrifft, erfährt das Material der Versperrung damit eine weitere Steigerung. Der Anschein, die Grundfläche oberhalb der Mauer markiere einen weiten Raum, täuscht. Der Schatten offenbart nämlich eindeutig den Wandcharakter der Grundfläche. Somit ist die Organisation der Bildräume auf eine totale Einengung des grinsenden Mannes mit der Maske ausgerichtet.
In dieser räumlichen Einengung scheint Reinhard Hanke die äußeren Zwänge zu veranschaulichen, die einer Entfaltung der individuellen Persönlichkeit entgegenstehen; ersieht den Menschen eingezwängt in eine Vielzahl von Erwartungen, die von außen an ihn herangetragenen werden und seine ureigensten Bedürfnisse überlagern und verändern. Was bleibt ist ein Mensch, der zu einem Träger von normierten sozialen Rollen degradiert worden ist. Unter dem ständigen Druck der Fremdbestimmung vermindern sich der Wille und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, bis daß sie sich schließlich verlieren.
So kommt in der Identität von Gesicht und Maske die völlige Verinnerlichung der sozialen Rolle zum Ausdruck; es verdeutlicht sich hier die Unfähigkeit, hinter der schützenden Maske mit ihren rollenbedingten Zügen das eigene, wahre Gesicht zu behalten.
R.J., 1979